Was ist denn eigentlich los?

oder: wenn Deine Gefühle Dir was vormachen

Manchmal bin ich ein ganz schönes Rumpelstilzchen. Ich schimpfe vor mich hin, stampfe mit dem Fuß auf, schaue jeden, der mir über den Weg läuft, böse an und hin und wieder knallt sogar eine Tür! Und leider, völlig unabhängig davon, ob mein liebster Ehemann der Auslöser oder ein unschuldiger Unbeteiligter ist, darf er Zeuge meines Ausbruchs sein.

Meistens schüttelt er dabei einfach den Kopf, fragt mich, ob in meinem Oberstübchen alles in Ordnung ist und kann einfach nicht nachvollziehen, warum mich eine Kleinigkeit so auf die Palme bringt.

Und genau das ist der Punkt: ich rege mich über kleinste Kleinigkeiten tierisch auf. Ich bin das perfekte Anschauungsexemplar für „aus einer Mücke einen Elefanten machen“. Dinge, über die ich normalerweise lächelnd hinweg schauen würde, bringen mich zur Weißglut: der Idiot, der seinen Führerschein wohl im Lotto gewonnen hat, der Fleck auf der frisch gebügelten Bluse – völlig egal.

Mein Mann macht dann immer eine Sache, die mir so garnicht gefällt.
Er fragt mich was. Und er stellt mir genau die Frage, die dafür sorgt, dass ich mich in meiner Wut noch unverstandener fühle:

„Was ist denn eigentlich los?“

Darf ich jetzt noch nicht mal mehr wütend sein, oder was?

Er kennt mich aber ziemlich gut. Und er weiß, dass ich, wenn ich anfange mich in ein Rumpelstilzchen zu verwandeln, eigentlich garnicht wütend bin.

Ich bin entweder traurig oder ich habe Angst!

Blöd ist nur, dass ich das erstmal nicht merke.

Ich meine, ich habe gerade eine sehr niederschmetternde Nachricht erhalten, die selbst den umemotionalsten Menschen nicht kalt gelassen hätte, aber mir macht das ja nicht so viel aus, ich kann ja auch einfach so tun als ob nichts wäre und mich dann wundern.
Ist ja garnicht offensichtlich oder so.

Dabei ist das nun wirklich nichts neues für mich. Im Gefühle mit anderen Gefühlen kompensieren bin ich Profi. Ich mache das schließlich schon ein paar Jahre. Also fast alle Jahre die ich auf der Welt bin, um mal ganz ehrlich zu sein.

Aber wo wir gerade bei Ehrlichkeit sind: es ist ja auch viel leichter wütend zu sein. Und viel praktischer.

Wut rauslassen erleichtert ungemein. Wer wütend ist, ist stark. Wütenden Menschen begegnen wir überall und ständig, sie werden allgemein gefürchtet. Und wenn man selbst wütend ist, kann man sich wunderbar mit ihnen streiten. Ja, viellicht wirkt die Wut ab und an mal übertrieben und stößt auf Unverständnis. Aber -hey – man kann mit ihr so wunderbar andere auf Abstand halten. Das ist doch toll!

Traurigkeit und Angst sind dagegen echt nervig.

Wer traurig ist, ist per se schonmal eine Belastung für andere. Denn wer traurig ist, muss getröstet werden und ist schwach und verletzlich. Deshalb ist es ja wohl auch immer besser, wenn wir unsere Traurigkeit und unseren Schmerz für uns behalten.

Also: sind wir uns einig, dass es besser ist weiterhin die eigenen Gefühle zu kompensieren und zum Beispiel Traurigkeit und Angst mit Wut zu ersetzen? Auch wenn wir das vielleicht nicht immer bewusst machen, aber wir können das üben.

Und für andere ist die Wut eh viel angenehmer. Ok, das Kompensieren ist das vielleicht nicht so gesund, aber wir sollten uns mal nicht so anstellen. Die Wut ist immerhin gesellschaftlich anerkannt und davon können wir uns dann auch was kaufen.

Obwohl: vielleicht würden wir uns nicht so unverstanden fühlen, wenn wir mit jemandem über unsere Angst sprechen. Oder wir würden Nähe zulassen, die wir in diesem Moment vielleicht ganz dringend brauchen. Oder, wir könnten ehrlich zu uns selbst sein und uns ein bisschen um uns selbst kümmern und schauen, was wir denn im Moment wirklich brauchen.

Eine Überlegung wäre es wert.

Alternativ gäbe es natürlich auch noch den theoretischen Ansatz, dass Emotionen Emotionen heißen, weil sie rauswollen. Achtung: Klugscheißermodus! E bzw. ex im Lateinischen bedeutet weg oder raus und das englische „motion“ bedeutet bewegen. Gefühle wollen also gefühlt und erlebt werden. Wenn wir das nicht tun, brodeln sie in unserem Inneren weiter und werden immer größer und bedrohlicher.

Aber wenn wir unsere tatsächlichen Gefühle mit anderen Gefühlen kompensieren, wie sollen wir sie denn erkennen und rauslassen? Also ohne, dass der Ehemann uns darauf aufmerksam macht?

Zum Glück gibt es einige Methoden, die uns dabei helfen können, unsere tatsächlichen Gefühle zu erkennen. Drei davon stelle ich Dir jetzt vor, welche für Dich wann am besten funktioniert, findest Du durch ausprobieren heraus. Ich entscheide je nach Situation und Energiereserve, welche gerade für mich die Beste ist.

Mit diesen drei Methoden findest Du heraus, was gerade wirklich los ist:

1. Spazieren gehen

Wenn die Wut Dich packt, dann mindestens für eine Stunde raus mit Dir. Ob Du eine feststehende Runde läufst oder kreuz und quer durch die Stadt oder über Land liegt ganz bei Dir. Wichtig dabei ist, ohne Ablenkung wie Musik, Podcast oder auch eine weitere Person loszuziehen, sonst funktioniert es nicht.

Für mich die beste Methode, wenn ich schon Zerstörungswut in mir spüre und es für jede zwischenmenschliche Begegnung besser ist, ihr aus dem Weg zu gehen. Ich laufe dann schimpfend, Selbstgespräche führend und laut vor mich hinblubbernd einfach los. Nach einer Weile kommen die ersten Tränen, das Schimpfen wird leiser. Selbstgespräche führe ich allerdings immer noch, aber ich merke, dass es mir langsam besser geht.

2. Schreiben

Kennst Du die 3-Seiten Methode? Nimm Dir einen Stift, eine Kladde oder einfach drei Seiten Papier und schreibe einfach alles auf, was Dir gerade durch den Kopf geht. Mit der Hand, ganz oldschool! Du darfst aber erst aufhören zu schreiben, wenn die drei Seiten voll sind.
Dabei kann es sein, dass das Thema, das Dich gerade eigentlich beschäftigt auf dem Papier landet oder, dass Du merkst, dass Du ein bestimmtes Thema umschiffst.
So oder so, was auf dem Papier ist, ist erstmal aus dem Kopf raus und hilft Dir, wieder klarer zu sehen.

3. Meditieren

oder auch Yoga (es darf nur kein Poweryoga sein) helfen Dir, ganz bei Dir selbst im hier und jetzt zu sein und Dich ganz auf Dich und Deine Gefühle zu konzentrieren. Du nimmst Dir Zeit für Dich und gibst Dir die nötige Ruhe, die Du brauchst. Das bewusste intensive Atmen löst Anspannungen und Deine Gedanken sortieren sich neu.

Was alle drei Methoden gemeinsam haben, ganz egal ob Du in Bewegung bist oder still sitzt: mit jeder einzelnen Methode nimmst Du Dir Zeit für Dich und kümmerst Dich um Dich selbst.
Du betreibst Selbstfürsorge.
Und zumindest bei mir ist es so, dass ich immer besonders dann anfange meine Gefühle zu kompensieren, wenn ich mich gerade nicht so gut um mich gekümmert habe.

Hast Du andere Methoden für Dich entdeckt, mit denen Du kompensierte Gefühle erkennst und herausfindest, was wirklich los ist?
Falls ja, verrätst Du sie mir?

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1 Kommentar

  • Jenni

    Wollte gerade NACHFRAGEN, da sah ich diesen neuen Blogpost. NICE 😀

    Und, sehr schöner Satz irgendwie:
    “ Im Gefühle mit anderen Gefühlen kompensieren bin ich Profi.“

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