Oder: warum unsere Vergangenheit manchmal nicht nur gut oder schlecht ist
Wir alle haben eine Vergangenheit. Wir haben gute und schlechte Entscheidungen getroffen, schöne und manchmal leider auch sehr schlimme Dinge erlebt, haben Menschen gewonnen und verloren und je älter wir werden, desto größer wird der Anteil unserer Vergangenheit an unserem Leben.
Das Fatale an unserer Vergangenheit ist, dass wir sie nicht ändern können.
Oft ist sie schwierig gewesen und wir sprechen dann davon „mit diesen Dingen abzuschließen“, „sie hinter uns zu lassen“ und „endlich drüber weg zu kommen“. Wir haben Dinge gemacht und Entscheidungen getroffen die wir heute mit „wie konnte ich nur?“ zusammenfassen und stellen das Verhalten unseres Vergangenheitsichs regelmäßig in Frage.
Aber die Vergangenheit ist, wie sie ist.
Und sie hat uns zu der Person gemacht, die wir heute sind – mit all unseren Ängsten, Macken und Beschädigungen.
Wir können sie nicht ändern.
Aber wir sind kreativ und geben so schnell nicht auf, indem wir versuchen doch immer wieder an ihr herum zu schrauben. Und wir sind erfolgreich: manchmal verklären wir sie, oft verteufeln wir sie.
Und damit wechseln wir uns oft ab, je nach Lebensphase und Alter, Wegbegleiter und Einflussnehmer, Ereignis, Ort oder vielen anderen Faktoren.
Ein bisschen ist es so wie bei Pipi Langstrumpf: „Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt!“
Und daran ist auch absolut nichts auszusetzen.
Wir machen Erlebnisse im Nachhinein schöner, als sie tatsächlich für uns waren, wir machen Erlebnisse im Nachhinein schrecklicher, als sie tatsächlich für uns waren, wir können die Fehler und Verhaltensweisen anderer nicht verzeihen, stellen unsere eigenen Entscheidungen in Frage, würden heute Dinge gaaanz anders machen, sehen nur die schönen oder nur die schlechten Aspekte einer Lebensphase oder eines Erlebnisses und verpassen so Menschen, Episoden und Entscheidungen den Stempel „gut“ oder „schlecht“.
Manchmal übersehen wir dabei leider aber auch etwas.
In unserer Einteilung in gute und schlechte Zeiten neigen wir dazu, einer ganzen Phase einen allumgreifenden Stempel aufzudrücken und werden so den einzelnen Phasen und vor allem uns selbst nicht ganz gerecht.
Keine Sorge, ich bin ein großer Fan der Überlebensstrategie Verdrängung und möchte auf keinen Fall, dass Du jetzt traumatische und furchtbare Zeiten noch einmal durchlebst!
Und an die tollen Zeiten will ich auch nicht ran!
Es tut mir nur leid, für die garnicht mal so schlechten Dinge, die sich in den „schlecht“ gestempelten Phasen unserer Vergangenheit verstecken.
Es tut mir leid für uns selbst, dass wir eine Phase – oder manchmal mehrere – in unserem Leben im Nachhinein nur negativ wahrnehmen.
Es geht mir schlichtweg darum, dass es auch in den nicht so schönen Zeiten schöne Momente gibt, die uns im Allgemeinen leichter auf unsere Vergangenheit zurückblicken lassen und uns helfen eher unseren Frieden mit ihr zu finden.
Manchmal machen wir das von ganz allein, manchmal brauchen wir ein bisschen Hilfe von uns selbst.
Ich musste mir letztens dabei ein bisschen helfen…
Eine Zeit, an die ich nicht besonders glücklich zurückdenke, ist mein erstes Jahr an der Uni.
Ich habe damals mit dem Studienfach einfach nicht warm werden können und, trotz toller Menschen um mich herum, wahnsinniges Heimweh gehabt.
Also habe ich nach dem zweiten Semester (in dem ich die Uni kaum von Innen gesehen habe) alle Zelte abgebrochen und bin in die Heimat zurückgekehrt – auf das Gästesofa meiner Eltern.
Ich kam mir vor, wie die größte Verliererin.
Und auch heute, wenn ich zurück schaue, steht dieses Jahr für mich pauschal für meine erste schlechte Entscheidung, die ich für mich und mein Leben getroffen habe und ich denke immer mit einem miesen Gefühl im Bauch am diese Zeit zurück. In meiner Erinnerung fühlt sich das Jahr dort, wie das erste große – und vor allem erste selbst verursachte – Scheitern an.
Am liebsten wollte ich diese Erfahrung aus meiner Vergangenheit tilgen.
Bisher!
Auf dem Rückweg aus dem Urlaub haben wir vor Kurzem einen Zwischenstopp in der Stadt, in der ich damals lebte, eingelegt.
Ich war mittlerweile seit 15 Jahren nicht mehr dort gewesen, war ein bisschen neugierig, was der Besuch dort mit mir machen würde und es hatte sich auf der langen Autofahrt einfach angeboten.
Wir haben alle Sehenswürdigkeiten besucht (es ist eine kleine Stadt), waren abends essen in dem Restaurant, in dem ich damals meine ersten gastronomischen Erfahrungen gemacht hatte und am nächsten Morgen in meinem Lieblingscafe von damals frühstücken.
Und es war schön!
Alte Erinnerungen kamen wieder hoch und eine unerwartete Dankbarkeit machte sich in mir breit.
Wer weiß, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich damals nicht dort „gescheitert“ wäre.
Ich wäre nicht da, wo ich heute bin!
Und da es mir da, wo ich gerade bin, ziemlich gut gefällt, finde ich es garnicht mehr so schlimm, dass aus mir keine Soziologin in Süddeutschland geworden ist.
Aus dem Ort des Scheiterns ist ein Ort geworden, an dem ich eine gute Entscheidung getroffen habe. Meine erste gute Entscheidung, würde ich fast sagen.
Also, aus der schlechten Erinnerung voller Scham, Versagen und Selbstzweifeln ist nach 15 Jahren eine gute Erinnerung geworden – jetzt heißt sie Selbstbestimmung, Chance und Zuversicht.
Gar nicht mal so schlecht, oder?
Wie sieht es bei Dir aus?
Hast Du vielleicht auch eine Erinnerung, die eigentlich garnicht sooo schlecht ist, wie Du sie Dir machst?
Verrätst Du sie mir?
0 Kommentare